Ich gehe gern einkaufen. Wirklich. Das hat für mich etwas äußerst Entspannendes und Beruhigendes. Jedenfalls am Anfang. Bis ich aus dem Auto ausgestiegen bin. Der Puls steigt bereits vor dem Supermarkt um einige Oktaven an. Denn: Ich brauche einen Einkaufswagen. Den bekomme ich seit einigen Jahren nur noch gegen Pfand. Einen Euro soll ich einschieben.
In den Tiefen meiner Hosentasche finde ich aber nur noch ein paar dürre Cent und ein 2-Euro-Stück. Die extra dafür vorgesehene runde Metallmarke an meinem Schlüsselbund ist schon vor vielen Monaten abgefallen. Fluchend klettere ich ins Auto zurück und suche – meine letzte Hoffnung – unter den Sitzen nach einem verloren gegangenen Euro. Den finde ich zwar nicht, dafür aber die verlorene Metallmarke vom Schlüsselbund. Glücksgefühle.
Mit der Marke kann ich endlich meinen Einkaufswagen auslösen. Ein Rad stellt sich leider dauerhaft quer, sodass der Wagen permanent nach links ausschert. Ich spanne die Muskeln an und schiebe den Wagen mit brachialer Gewalt durch den „Kreisverkehr“ am Eingang des Marktes. Die sich drehenden Türen am Eingang rotieren in absoluter Zeitlupe – mit der mechanischen Geduld eines Uhrwerks, das die Zeit nicht in Sekunden, sondern in Dekaden misst. Ich bin mir sicher: Als ich endlich im Markt stehe, ist mein Stoppelbart um mehrere Millimeter gewachsen. Und ich frage mich einmal mehr: Warum? Ist das eine moderne Diebesbremse? Kein Bösewicht, der in die Kasse greift, wird diesen Kreisel des Grauens verlassen können, bevor die Polizei eintrifft.
Mit schlafwandlerischer Genauigkeit laufe ich anschließend durch die Gänge, um in blinder Perfektion genau die Artikel in den Regalen zu greifen, die auf meinem geistigen Einkaufszettel stehen. Theoretisch. Denn praktisch hat der Markt seine Stellflächen über Nacht komplett umgebaut. Wo eben noch die Marmeladen waren, liegen nun die Kekse. Wo ich früher Pasta eingekauft habe, steht jetzt die Schokolade. Wo es Tabs für den Geschirrspüler gab, werden nun Chips verkauft. Woher wissen die denn, dass ich gerade versuche, der Zucker-Sucht abzuschwören? Und warum möchten die meinen Erfolg in dieser Hinsicht so unbedingt boykottieren?
Auf jeden Fall laufe ich nun orientierungslos wie ein angefahrenes Eichhörnchen auf LSD durch die Gänge – und finde NICHTS mehr. Auf meinen Wegen entdecke ich zwar eingelegte Pepperoni, Damenbinden, Sahnelachsfilets, Babynahrung und vegane Würstchen, vermisse dafür aber die wirklich wichtigen Dinge meines Lebens.
Nur eins ist so geblieben wie immer: Die zu eng gestellte Obst- und Gemüseabteilung, in der viel zu viele Großmütter mit zusammengekniffenen Augen nur darauf warten, mir endlich wieder ihren Einkaufswagen in die Hacken stoßen zu dürfen. Langsam entwickle ich hier Hornhaut.
Wie immer habe ich die teuer angeschafften Mehrweg-Einkaufsnetze für Äpfel und Nektarinen im Auto liegen lassen, und muss wieder auf die „Knotenbeutel“ aus unfassbar dünnem Plastik zurückgreifen. Die zerreissen immer ganz von alleine, sobald ich vier statt nur drei Äpfel hineinpacke. Schlimmer noch: Drei Hausfrauen, die anscheinend ebenfalls gerade der Schokolade entsagen und nun mit verkniffener Miene Mohrrübensticks und Minigurken als Knabberersatz einkaufen, schauen mich mit schlechter Laune an, zeigen auf meine Knotenbeutel und zischen mir im Vorbeigehen ein unfreundliches „Sie Umweltterrorist“ ins Ohr.
An der Kasse schaue ich beim Warten wieder auf die ganzen Krebs- und Impotenzbilder auf den Zigarettenschachteln. Sie wirken. Dabei rauche ich doch gar nicht.
Ich will gerade meinen Einkauf aufs Band packen, da schaut mich eine junge Frau mit großen blauen Augen an, zieht einen Schmollmund und hält ein einsames Päckchen Butter hoch. Mit einem Kopfnicken lasse ich sie vor. Sie ruft: „Peter, komm mit dem Einkaufswagen rüber, wir dürfen vor. Der Herr braucht anscheinend noch `ne Weile.“ Zu blöd. Das sieht nach Wocheneinkauf aus.
Auf dem Parkplatz nehme ich die Einkaufskiste aus dem Wagen. Das blockierte Rad kriegt sich plötzlich wieder ein und der Wagen rollt gegen mein Auto. Das gibt eine Beule! (CS, Foto: Tanja M. Marotzke)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 162 (9/2019).
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