Die beiden letzten Jahren waren extrem trocken. Die Förster meldeten im Sommer, dass der Waldboden bis hinab zu den Wurzeln der Bäume metertief ausgetrocknet sei. Das schädigte auch das Myzel der Pilze: Sie waren deswegen in den vergangenen Monaten echte Mangelware im Wald. Das hat sich im Oktober deutlich geändert. Sinkende Temperaturen und immer wieder gleich mehrere Tage mit Niesel- oder Starkregen haben dafür gesorgt, dass für die Pilze plötzlich perfekte Bedingungen geherrscht haben: Sie sprossen nur so aus dem Boden.
Dabei muss man wissen: Das, was da aus dem Boden wächst, ist nur der Fruchtkörper des Pilzes – die „Vermehrungsstation“. Der Pilz selbst wuchert unterirdisch in Form eines weit verzweigten fadenförmigen Myzels. Dieses „Netzwerk des Waldes“ lebt je nach Art symbiontisch oder parasitisch mit verschiedenen Baumarten zusammen – oder ernährt sich vom biologischen Abfall verwitterter Pflanzen.
Pilze bilden ein ganz eigenes Lebewesenreich neben den Pflanzen, den Tieren und den Bakterien. Sie sind im Gegensatz zu Pflanzen nicht zur Photosynthese fähig, besitzen dafür aber Zellwände aus Chitin. Das ist der gleiche Stoff, der auch das Außenskelett der Insekten formt.
Neben den Pilzen aus dem Wald, die oft genug auf dem Teller landen, gibt es übrigens auch noch ganz andere Vertreter ihrer Zunft. Einzellige Hefepilze ermöglichen so etwa die alkoholische Gärung bei der Bier- und Weinproduktion. Ein Schimmelpilz war der Produzent des Antibiotikums Penicillin, das Alexander Fleming 1928 entdeckte – und das ihm einen Nobelpreis einbrachte. Aber: Nicht alle Pilze sind Freunde der Menschen. Fuß- und Nagelpilze können ihm sogar das Leben zur Hölle machen.
Das alles ist den überzeugten Pilzsammlern völlig egal. Sie nutzten das verregnete Wetter nach all den pilzlosen Monaten sofort und mit großer Begeisterung, um essbare Pilze im Wald zu suchen. Und sie brachten eine starke Ausbeute mit nach Hause. In den sozialen Netzwerken wurden stolz viele Fotos der Pilzfunde gepostet.
Welche Pilze sind essbar?
Die Frage ist natürlich immer: Welche Pilze, die im Wald oder auf der Wiese wachsen, sind eigentlich gefahrlos essbar?
Es gibt allein in deutschen Gefilden viele hundert Pilzarten, die in den unterschiedlichsten Formen und Farben aus dem Boden sprießen. Sie tragen so einfallsreiche Namen wie Tannenstachelbart, Fichtenreizger, Amethystblättriger Klumpfuß, Öhrling oder Rostgelber Semmelstoppelpilz, um nur einige der Namen zu nennen.
Das Problem ist, dass einige Pilzarten sehr lecker schmecken, es aber ebenso viele gibt, die wirklich ungewöhnliche Gifte in sich tragen. Ein falscher Biss – und es könnte leicht der letzte sein. Da viele essbare Pilze einen giftigen Doppelgänger haben, ist jede Form von Halbwissen sehr gefährlich.
Meistens wird das Wissen um die Pilze in der Familie weitergegeben, oft genug vom Opa und der Oma auf die Enkel. Das ist gut, denn Pilzwissen lässt sich am besten direkt vor Ort vermitteln, wenn alle Sinne mit eingebunden werden. Ein echter Champignon riecht eben schon ganz anders als sein Doppelgänger, der tödliche Knollenblätterpilz.
Pilzbestimmungsbücher sind eine gute Ergänzung zum vermittelten Familienwissen. Sie erklären jederzeit nachschlagbar, welche Attribute ein genußfähiger Speisepilz aufweisen muss – und welche Doppelgänger es gibt. Inzwischen lassen sich sogar zahllose Homepages zum Thema aufschlagen. Ausführlicher als jedes Buch ist so etwa die mit ausgezeichneten Fotos ausgestattete Seite www.pilzwelten.de.
Wer auch nach ausgiebigen Führungen mit dem pilzkundigen Opa oder nach Fast-Auswendiglernen der Pilzbücher noch immer nicht weiß, ob er den Purpurfilzigen Holzritterling, den Birkenporling, den Gifthäubling oder den Gummihelmling gefahrlos essen darf, der sollte nicht lange überlegen: Was der Pilzsammler nicht kennt, das nimmt er auch nicht mit nach Hause. Punkt.
Werner Malchow sagt als Pilzsachverständiger aus Brieselang ganz klar: „Man nimmt nur die Pilzsorten mit nach Hause, die man hundertprozentig sicher erkennen kann. Und wenn man nur den Steinpilz und die Marone sicher identifizieren kann, dann sammelt man eben auch nur diese beiden Sorten. Wobei ich sehr dazu appelliere, alle anderen Pilze nicht zu zerstören, sondern sie an Ort und Stelle stehenzulassen. Sie haben alle eine Aufgabe im Wald.“
Ein Problem ist, dass einzelne Pilze, die früher gern als Speisepilz gesammelt wurden, inzwischen nicht mehr zu den essbaren Leckereien gehören.
Werner Malchow: „Jahrzehntelang hat man in Deutschland den Kahlen Krempling sehr gern gegessen. Das ist kein Wunder. Der roh durchweg giftige Pilz schmeckt ausreichend gekocht sehr gut, er wächst im Wald in großen Mengen und er ist selten madig. Dann tauchten aber plötzlich erste Vergiftungsfälle in Frankreich auf, die sich später in Deutschland, Polen und Russland wiederholt haben. Die ‚Giftung‘ des Pilzes wanderte demnach von West nach Ost. Der Pilz verursachte in einzelnen Fällen eine Vergiftung, die bis zum Tod führen konnte. Aus diesem Grund wird inzwischen komplett davon abgeraten, diesen Pilz weiterhin zu sammeln.“
Der Autor dieser Zeilen hat als Kind mit seinem Opa immer Grünlinge in den ostdeutschen Kieferwäldern gesammelt. Grünlinge sehen wie fleischige und grünfarbige Pfifferlinge aus. Sie kamen früher in die Kartoffelsuppe und schmeckten fast wie eine Fleischeinlage.
Pilzkenner Werner Malchow: „Der Grünling stand einmal auf der Liste der Handelspilze. Bis mehrere Leute nach dem Verzehr an einer Rhabdomyolyse verstorben sind. Bei dieser Vergiftung zerfallen die Muskeln. Und wenn dieser Prozess erst einmal das Herz mit einschließt, dann ist das Ende nicht mehr abzuwenden.“
Manchmal muss man auch genau Bescheid wissen, um ein Pilzgericht genießen zu können. So schmeckt der Faltentintling durchaus gut. Wissen muss man aber, dass man zu diesem Pilz auf gar keinen Fall Alkohol trinken kann. Alkohol in jeder Form muss sogar schon einige Tage vor dem Pilzgenuss tabu sein. Und einige Tage danach. Je mehr Zeit zwischen Pilzgenuss und Alkohol liegt, umso schwerwiegender sind mitunter die Vergiftungserscheinungen. Alkohol wird im menschlichen Körper zu Acetaldehyd umgewandelt. Das reichlich im Faltentintling vorhandene Coprin blockiert leider den weiteren Abbau des Acetaldehyds. Es kommt zu Herzrasen, einer Rotfärbung des Gesichts, Seh- und Sprechstörungen, Schwindel und Brechreiz, einer akuten Erschöpfung und einem schier unstillbaren Durst.
Möchte man das durchleben? Wohl eher nicht. Da Pilze echte pharmakologische Bomben sein können, sollten sich Nichtkenner der Materie immer überlegen, ob sie das Pilzesammeln nicht vielleicht doch lieber den Profis überlassen. Ein einzelner Fehler wirkt sich leicht fatal aus.
Markus Götzinger ist vor allem auf Steinpilze aus!
Markus Götzinger aus Berlin geht für sein Leben gern „in die Pilze“. Er hat seine Stellen in Berlin und im Havelland, die nur ihm bekannt sind, und die ihm reiche Beute auf der Pilzsuche versprechen.
Wie kamen Sie zum Pilzesammeln?
Markus Götzinger: „Schon als kleiner Junge bin ich mit meinem Vater und meinem Opa regelmäßig Pilze sammeln gegangen. Wir haben im Sommer und im Herbst viele Stunden im Schönbuch verbracht. Wir haben viele Pilzarten mitgenommen. Ich erinnere mich an Steinpilze, Pfifferlinge, Rotkappen, Birkenpilze, Maronen, Goldröhrlinge, den ‚Ziegenbart‘, Hallimasche und Parasole. Sicher waren es aber noch deutlich mehr Sorten.
Steinpilze und Pfifferlinge wurden, als ich noch sehr jung war, häufig verkauft, den Rest gab es dann zu Hause zu essen.
Mein Opa erzählte uns manchmal, dass er, als er aus dem Krieg zurück kam und es nichts zu Essen gab, im Herbst jeden Tag im Wald war. Mit den Pilzen hat er direkt und indirekt, indem er sie gegen andere Lebensmittel eingetauscht hat, die Familie versorgt.
Die Liebe zum Pilzesammeln begleitet mich somit schon seit vielen Jahren und ich mag es auch heute noch sehr, im Wald unterwegs zu sein. Ich gehe fast immer alleine, geniesse die Ruhe und freue mich, wenn mir mal ein Reh oder ein Hirsch über den Weg läuft.“
Wie oft gehen Sie auf die Suche?
Markus Götzinger: „Normalerweise gehe ich im Sommer und Herbst sehr regelmäßig in den Wald. In der Hochsaison, wenn die Witterungsbedingungen stimmen und ich Zeit habe, ein bis zwei Mal in der Woche. Die Pilze wachsen dann innerhalb von zwei bis drei Tagen nach. Leider hat es in den letzten beiden Jahren in den Sommermonaten ja viel zu wenig geregnet, so dass die Sommerpilze für mich komplett ausgefallen sind. Letztes Jahr gab es dann sogar im Herbst an meinen Stellen fast gar nichts zu holen.
Ich nehme heute nur noch Steinpilze, Pfifferlinge und Parasole mit. Manchmal sammle ich für meine Schwiegereltern auch noch ein paar Maronen ein. Aber meistens finde ich genug Steinpilze, so dass ich die Maronen stehen lasse.“
Wie schneiden Sie die Pilze ab?
Markus Götzinger: „Ich drehe Pilze komplett aus dem Boden heraus. Ich bin zwar kein Biologe und hab mich nie intensiver damit beschäftigt, aber da der eigentliche Pilz das Myzel, also das Wurzelgeflecht im Boden ist, und der ‚Pilz‘, den ich mitnehme, nur der Fruchtkörper, füge ich dem Pilz keinen Schaden zu, wenn ich ihn aus dem Boden drehe und nicht abschneide. Das Myzel wird nicht wirklich verletzt.“
Was machen Sie mit den Pilzen?
Markus Götzinger: „Am liebsten esse ich die Pilze natürlich frisch. Mit Speck und Zwiebeln angebraten und mit Petersilie garniert – und dann mit Kartoffeln oder Nudeln gern in einer Sahnesoße. Eine Ausnahme bilden dabei die Parasole. Sie werden wie ein Schnitzel paniert und angebraten. Steinpilze trockne ich auch gern und mische sie nach Bedarf in meine Soßen.“
Melanie Russ hat auch Verwendung für den Fliegenpilz!
Melanie Russ lebt mit ihrer Familien in Falkensee. Sie geht leidenschaftlich gern mit den Kindern, ihrem Mann und dem Hund in den Wald.
Wer hat Ihnen das Pilzesammeln beigebracht?
Melanie Russ: „Wir sind schon immer gern in die Pilze gegangen – und zwar mit den Eltern und noch viel lieber mit den Großeltern. Mein Opa hat immer gesagt: Merke dir pro Jahr einen neuen Pilz, das reicht zum satt werden! Wenn man sehr gern Pilze isst, entwickelt man leicht ein gesteigertes Interesse für das Thema. Ein vielseitiges Pilzwissen steigert die Chancen darauf, nicht mit einem leeren Körbchen aus dem Wald zurückzukehren.“
Was nehmen Sie aus dem Wald mit nach Hause?
Melanie Russ: „Wir lassen alles stehen, was wir nicht kennen, was alt oder was verdorben ist. Manchmal lassen wir auch stehen, was zu viel Arbeit macht. So ist der Hallimasch ein wohlschmeckender Speisepilz und als Mischpilz gut zu verwenden. Er muss aber einmal aufgekocht werden, wobei es gilt, das Kochwasser wegzuschütten. Pfifferlinge schmecken auch sehr gut, aber ich lasse sie auf sandigem Waldoben auch einmal stehen, wenn das Putzen mir zu anstrengend erscheint.
Ich mag junge Steinpilze und Schopftintlinge. Die brauche ich nur kurz abzubürsten oder zu waschen – und schon sind sie zum Verzehr geeignet. Tintlinge erhitze ich im Topf kurz in Butter und lösche sie anschließend mit Sahne. Etwas Salz dazu, pürieren – und fertig ist das intensivste Pilzsüppchen, was man sich nur vorstellen kann! Parasolpilze trockne ich gern und fädele sie zu einer Girlande auf. Getrocknet kann man sie sehr gut zu einem Pilzpulver zermörsern.
Manchmal nehme ich auch einen Fliegenpilz mit nach Hause. Der heißt ja nicht umsonst so. Er lockt mit seinem Duft die Fliegen an. In einem Schälchen mit Wasser ergibt er eine natürliche und zugleich auch dekorative Fruchtfliegenfalle.“
Wie viele Pilze darf ich sammeln?
Zunächst einmal gilt: In Naturschutzgebieten dürfen gar keine Pilze gesammelt werden.
Viele Pilze wie der Steinpilz oder der Pfifferling stehen auch auf der Bundesartenschutzverordnung. Sie dürfen nur in kleinen Mengen (ausreichend für ein oder zwei Gerichte) für den Eigenverbrauch gesammelt und auf gar keinen Fall gewerblich verkauft werden.
Besonders seltene Arten wie Morcheln oder Grünlinge dürfen überhaupt nicht mitgenommen werden. (Text: CS / Fotos: CS, Markus Götzinger, Melanie Russ)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 164 (11/2019).
Der Beitrag In den Pilzen: Dauerhafter Regen im Oktober sorgt für Pilzschwemme! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.