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Channel: Seite 384 – Unser Havelland (Falkensee aktuell)
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Alexander „Sascha“ Dik aus Falkensee: Schonungslos offen – ein Russlanddeutscher schreibt seine Autobiografie!

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In Kasachstan ein Faschist, in Deutschland ein Scheiß-Russe. Alexander „Sascha“ Dik (36) ist vor vielen Jahren als Kind Russlanddeutscher aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Als Migrant bekommt er es im spannungsgeladenen Berlin mit allen Vorurteilen der Gesellschaft zu tun – und erfüllt sie auch. Seine Jugend in Marzahn ist als Spätaussiedler geprägt von Gewalt, erst der Sport holt ihn aus dem Milieu.

Im Tae Kwon Do wird er sogar Weltmeister. Seit drei Jahren lebt er nun in Falkensee. Hier hat er seiner Familie ein neues Zuhause gegeben und zeitweise den Falkenfein-Supermarkt geführt. Lothar Berg (www.lotharberg.de) hat die schonungslose Autobiografie aufgeschrieben. Das Buch „Migrant … und nun?“ ist jetzt erschienen – eine authentische Diskussionsgrundlage zum Thema Migranten und zur Gesellschaft.

Lieber Alexander, wie bist du denn auf die Idee zu deinem Buch gekommen?

Alexander Dik: „Das Buch sollte eigentlich für meine drei Kinder sein. Es sollte unsere Übersiedlung festhalten und ihnen einmal zeigen, wo unsere Familie herkommt. Der Autor Lothar Berg und ich, wir haben drei Jahre zusammen an dem Buch gearbeitet. Wir haben beide schnell gemerkt, wie wichtig das Thema eigentlich ist. Auch für mich. Ich habe viele Probleme aufgearbeitet, die mich bereits mein ganzes Leben lang begleiten. Vieles habe ich erst verstanden, als wir darüber geredet haben. So ab der Mitte des Buches haben wir entschieden, das öffentlich zu machen. Auch gezielt mit dem Titel ‚Migrant … und nun?‘.“

Wie kann man sich die Arbeit an dieser Autobiografie genau vorstellen?

Alexander Dik: „Lothar gab mir einen Zeitausschnitt vor und ich habe dann meine Erinnerungen an diese Zeit von Hand aufgeschrieben – wie in einem Tagebuch. Manches konnte Lothar gar nicht entziffern.

Wir haben uns dann getroffen und ich habe die verschiedenen Geschichten noch einmal erzählt. Lothar hat oft nachgefragt, ob das auch wirklich alles so stimmt. Aber ja, da ist kein Satz erfunden, alles hat genau so stattgefunden.

Ich dachte erst, gerade aus meiner Kindheit, da wird nicht viel an Geschichten zusammenkommen, ich erinnere mich an vieles nicht. Aber wenn man erst einmal anfängt, darüber nachzudenken, dann fallen einem immer wieder neue Dinge ein. Wir haben sogar noch alte Mama-Hefte aus der Schulzeit gefunden, da stehen Sachen drinnen wie ‚Sascha schlägt schon wieder deutsche Kinder‘.“

Lothar Berg findet eine fantastische Sprache in dem Buch, man kann sich die Szenen oft bildlich vorstellen und hat sogar den Geruch in der Nase.

Alexander Dik: „Lothar Berg ist ein echter Verhörmeister. Der wollte das alles ganz genau wissen und alles authentisch haben. Manchmal musste ich sehr schlechte Seiten von mir beschreiben. Manchmal wurde es sehr intim, wenn es um meine Frau und um die Kinder ging. Ich wollte das Projekt mittendrin mehrfach abbrechen. Dann habe ich mir immer wieder gesagt: Scheiß drauf, wir ziehen das durch. Es war halt so, jetzt reden wir drüber. Ich bin bestimmt der allererste Russlanddeutsche, der sich so intim und gefühlsoffen äußert.

Lothar war immer penibel genau. Er hat in Berlin alle Orte besucht, sich alles angesehen, Leute getroffen, nachgefragt und sogar Straßennamen kontrolliert. In Kasachstan war er selbst zwar nicht, aber er hat Videos und Bilder gesehen und mit meinen Eltern und Brüdern gesprochen.

Das Buchcover zeigt meine beiden Brüder Andrè und Wladimir – und mich. Der erste Gedanke vieler Menschen dabei ist ‚Das sind doch wieder so welche‘, was natürlich ein Vorurteil ist. Damit spielen wir.

Was ist ein Russlanddeutscher eigentlich?

Alexander Dik: „Wir sind ursprünglich Deutsche, die sich vor 300 bis 400 Jahren in der Wolga-Region angesiedelt haben. Hier sind wir dann 1943 zwangsweise umgesiedelt worden – in den Kaukasus, nach Sibirien, vor allem aber nach Kasachstan. Viele sind dabei gestorben, darunter auch meine Urgroßeltern. Wir sind der Meinung, dass wir Russlanddeutschen Kasachstan mit aufgebaut haben. Trotzdem waren wir für alle immer nur die Faschisten.

Die Deutschen blieben in Kasachstan viel unter sich. Sie haben die Tradition bewahrt, heirateten untereinander und sprachen Deutsch. Meine Mutter musste sogar erst Russisch lernen, als sie in die Schule kam. Schon damals war es schlimm, wenn es nur wenige deutsche Familien in einer Siedlung gab. Dann wurde es schnell gefährlich. Bei mir ging das. Mein Vater hat Autos repariert und vielen Menschen geholfen. Meine Mutter hatte eine hohe Position im Krankenhaus. Als die Sowjetunion aber 89/90 zerfallen ist und Kasachstan unabhängig wurde, da eskalierte das Leben im Alltag. Ruckzuck herrschte für uns ein ganz schlimmes Klima und es wurde extrem gefährlich für uns. 1992 sind wir nach Deutschland übergesiedelt, da war ich knapp acht Jahre alt.“

Jetzt lebst du seit drei Jahren in Falkensee. Erlebst du die Isolation noch immer?

Alexander Dik: „Als ich in Falkensee meinen Supermarkt Falkenfein aufgemacht habe, da habe ich wieder erlebt, dass viele Angst vor Migranten haben. Wenn jemand meine Aussprache gehört hat, war er sofort verunsichert. Tatsache ist, dass es in Berlin und auch in Falkensee viele Russlanddeutsche gibt. Und wir bleiben tatsächlich komplett im eigenen Klüngel. Der russische Weg ist oft der einfachere. Man kennt in der Gemeinschaft immer jemanden, der einen Job zu vergeben hat oder der einem helfen kann. Ein Spagat für uns ist, dass wir russisch fühlen, lachen und denken, aber deutsch handeln.“

Du bist schonungslos offen in deiner Autobiografie. Du bist nicht immer nett, die Gewalt ist gerade in deinen Marzahner Jahren allgegenwärtig.

Alexander Dik: „Vielen Migranten ist doch eins gemeinsam: Man beherrscht die Sprache nicht perfekt, man hat kein Geld, man bekommt keine Anerkennung, man hat im Ernstfall keine einflussreichen Freunde wie etwa Anwälte. Man fühlt sich zurückgesetzt, als Mensch zweiter Klasse. Das macht aggressiv und das führt zu Gewalt. Gewalt regelt Dinge, das kann frei machen.

Ich habe auch festgestellt: Ich muss in Deutschland nicht reden, wenn man stattdessen für Angst sorgen kann. Etwas mit Worten zu regeln, das war für mich damals ein Zeichen von Schwäche. Gewalt war schon in meiner Kindheit in Kasachstan ein Ventil und ein Regulator. Anlässe gab es genug. Wer sich dort nicht wehrte, wurde gequält und beraubt.

Der Sport hat mich aus dieser Gewalt-spirale herausgeholt. Heute habe ich meine Wut und meine Angst unter Kontrolle. Ich bin aber bereit, für meine Familie zu kämpfen, wenn es die Situation erfordert.“

Dein Buch ist kein Heldenbuch.

Alexander Dik: „Nein, das ist es nicht. Es ist ein ehrliches Buch. Viele Leser sprechen mich an und erzählen mir, dass sie sich in dieser oder jener Szene wiederfinden. Das Buch bewegt die Menschen.“

Was wäre das Schönste, was dein Buch bewirken könnte?

Alexander Dik: „Das Buch kann eine neue Grundlage für unser Zusammenleben sein. Es ist nicht politisch gedacht. Das Buch soll allen Seiten helfen, sich besser kennen zu lernen.“ (Text/Fotos: CS)

Zum Buch: Migrant … und nun? Das Leben des Alexander D. – aufgeschrieben von Lothar Berg, Anthea Verlag Berlin, 500 Seiten, 19,90 Euro, www.anthea-verlag.de

Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 169 (4/2020).

Der Beitrag Alexander „Sascha“ Dik aus Falkensee: Schonungslos offen – ein Russlanddeutscher schreibt seine Autobiografie! erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.


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