Vom neu gebauten Kreisverkehr bis hin zum Eingang in das alte Falkenmarkt-Areal ist die Spandauer Straße in Falkensee bereits komplett erneuert worden. In diesem ersten Bauabschnitt hat der Landesbetrieb Straßenwesen die Straße komplett neu gebaut und sie mit komfortablen Abbiegespuren und Haltebuchten für den Bus versehen – mit dem Ziel, auf diese Weise den Verkehr flüssiger zu gestalten.
Auf einen vierspurigen Ausbau der Stau-gebeutelten Straße wurde gezielt verzichtet, um stattdessen Platz zu machen für eine 2,50 Meter breite Fahrradspur, die nur durch eine weiße Fahrbahnmarkierung von der Autospur getrennt ist. Zwei PKW-Spuren statt nur einer pro Fahrtrichtung würden getreu dem Motto „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten“ doch nur noch mehr Autos durch die Spandauer Straße lotsen, meint Frank Schmidt, Dezernatsleiter Planung West vom Landesbetrieb Straßenwesen. Wichtiger sei es, die Menschen aus den Autos und aufs Fahrrad und in den öffentlichen Nahverkehr zu befördern. Allein durch das Angebot einer eigenen Fahrradspur auf der Straße würde man dafür sorgen, dass der gewollte Fahrradverkehr auf der Spandauer Straße zunimmt.
Nun steht der zweite Bauabschnitt bevor, der in der Durchführung etwa zwei Jahre dauern und – wenn alles nach Plan läuft – 2020 beginnen soll. Auch bei diesem Bauabschnitt mit 1,3 Kilometern Länge, der bis an den Berliner Stadtrand reichen wird, geht es darum, die marode L-201-Straße von Grund auf zu erneuern, Abbiegespuren und Bushaltebuchten zu errichten und eine 2,5 Meter breite Fahrradspur umzusetzen.
Das Problem: Wird das ursprüngliche Konzept umgesetzt, an dem der Landesbetrieb Straßenwesen zusammen mit dem Planungsbüro Heinz+Staadt Ingenieur GmbH seit Jahren arbeitet, so müssten von 91 noch vorhandenen Linden im Baugebiet so viele gefällt werden, dass am Ende nur noch 13 übrig bleiben – vor dem Kiesteich und vor der Rottunde der so genannten „Herlitz-Siedlung“.
Das war ein Schock für viele Anwohner und Naturschützer aus Falkensee. Schnell formierte sich aus mehreren Interessengemeinschaften, Vereinen und Institutionen das Bündnis „100 Linden retten!“, das sich vehement gegen diese Abholzung eingesetzt hat. Über 400 Unterschriften wurden gesammelt. Wichtiger noch: Man hat sich hingesetzt und zwei Alternativplanungen entworfen, bei denen ein Großteil der Linden noch bestehen bleiben könnte.
Die große Überraschung: Der Landesbetrieb Straßenwesen hat sich auf die Argumente und die Vorschläge eingelassen und eine Alternativplanung in Auftrag gegeben. Am 15. Januar 2019 stellten die Ingenieure den neuen Plan im Foyer der Falkenseer Stadthalle vor etwa 120 interessierten Besuchern vor – zu denen übrigens viele Anwohner zählten. Eingeladen zu der Präsentation mit anschließender Diskussionsrunde hatten der ADFC Falkensee, das Bürgerbündnis 100 Linden, die BISF als Bürgerinitiative Schönes Falkensee, die IGF Interessengemeinschaft Falkensee und die MIT als Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU.
Vor dem Start der Veranstaltung äußerte sich Günter Chodzinski als Mitglied der BISF und als Stadtverordneter Mitglied im Ausschuss Stadtentwicklung: „Der Erhalt der Allee ist ein Wert an sich. Alle technischen Möglichkeiten sollten genutzt werden, um diese Bäume zu erhalten.“
Vor der Vorstellung der Alternativplanung für die Spandauer Straße durch die Ingenieure hatten die Veranstalter des Abends die Möglichkeit, kurz ihre Wünsche zu formulieren.
Uwe Kaufmann, Sprecher des Fahrradvereins ADFC Falkensee: „Es gibt ganz neue Herausforderungen in Sachen Radverkehr, denen wir uns stellen müssen. Der Radverkehr in Falkensee nimmt deutlich zu, wie man auch an der Auslastung der Fahrradparkplätze am Bahnhof sehen kann. Ein großer Teil der Bevölkerung ist ganz bewusst dabei, auf das Rad umzusteigen. Die Räder werden schneller – wir brauchen nicht nur mehr Radwege, sondern richtige Radschnellwege, wie sie zurzeit in Berlin geplant werden. Wir begrüßen den Radstreifen in ausreichender Breite außerordentlich. Aber – der Radfahrer steht auch der Natur nah. Wir geben gern Komfort ab, um Bäume zu retten, insofort die Sicherheit der Radfahrer nicht gefährdet wird.“
Juliane Kühnemund vom Bürgerbündnis 100 Linden: „Als wir vor zwei Jahren Kenntnis von der Planung bekommen haben, sind wir vor Schreck vom Hocker gefallen. Damals war noch von einer Totalfällung die Rede. Wir sind positiv überrascht, dass so viele Vorschläge von uns aufgegriffen wurden. Wir bemängeln, dass bei den Nachpflanzungen die kleinkronige Winterlinde genutzt wird. Diese Bäume werden nie so hoch werden wie das bei den aktuell noch stehenden Linden der Fall ist. Generell ist unser Anspruch: Jeder Baum ist für uns wichtig. Wir wollen so viele Bäume erhalten, wie es nur möglich ist.“
BISF-Sprecher Marc-Oliver Wille: „Wir müssen die Erwartungen der Bürger dämpfen. Die Straße wird nicht vierspurig. Der Kreisverkehr und die Ampelanlage an der Stadtgrenze bleiben und sorgen weiter für Staus. Alle Baumaßnahmen können den Verkehrsfluss dazwischen nur optimieren, mehr nicht. Im INSEK-Verfahren hat sich Falkensee dazu verpflichtet, das Stadtgrün zu erhalten. Eine Fällung der Linden wäre genau das Gegenteil vom grünen Image der Gartenstadt. Man würde nach der Umsetzung der ursprünglichen Baupläne aus Berlin über einen breiten Korridor ins Nichts fahren – mit winzigen Bäumen an den Seiten. Das wollen wir uns gar nicht vorstellen.“
Klaus-Dieter Giede von der IGF sprach für die Gewerbetreibenden: „57 Einzelgeschäfte sind vom Bauabschnitt betroffen. Die Baumaßnahmen erschweren es unseren Kunden, zu den Geschäften zu gelangen. Wichtig ist uns, dass Parkplätze erhalten werden. Zu Fuß läuft kein Kunde mehr zu uns.“
Kristina Scheibe, Schulleiterin der direkt angrenzenden Geschwister-Scholl-Grundschule: „Wir hatten schon im 1. Bauabschnitt sehr große Probleme mit der Verkehrssicherheit. Wir wollen vor dem 2. Bauabschnitt gern wissen, wie der Schulweg unserer Kinder gesichert wird, ob sich die Wegeführung für die Schüler ändert und ob die Hamburger Straße dann vielleicht sogar zu einer Sackgasse wird. Auch hören wir, dass Bosch fast zeitgleich 480 Wohnungen in der Nachbarschaft bauen möchte. Wie kann dann der Bauverkehr abfließen, der jetzt beim Semmelhaack-Bau von 18 Reihenhäusern bereits eine massive Gefährdung unserer Kinder auf dem Schulweg mit sich bringt?“
Frank Schmidt vom Landesbetrieb Straßenwesen stellte anschließend zusammen mit Prof. Dipl. Ing. Wolf Heinz die ausgearbeitete Alternativplanung vor, die von 91 Bäumen 73 Linden erhalten würde.
Professor Wolf Heinz arbeitet seit 2010 an der Planung für den Ausbau. Er wies noch einmal darauf hin, dass von ursprünglich 100 Bäumen im Ausbaugebiet, die 2016 bewertet wurden, inzwischen nur noch 91 stehen. Neun sind demnach aus den verschiedensten Gründen entfernt worden. Es könne demnach auch gut sein, dass Bäume, die vom Straßenbau verschont werden, sowieso eine endliche Lebensdauer haben: „Wenn der Straßenmeister, der für die Beurteilung der Standsicherheit verantwortlich und dafür auch haftbar ist, sagt, dass ein Baum nicht mehr verkehrssicher ist, dann muss er eben weg.“
Tatsächlich ist es dem Planungsbüro gelungen, eine Alternativplanung umzusetzen und diese auch zu präsentieren. Die Alternativplanung weist allerdings mehrere schwerwiegende Konflikte auf:
– Von der Hegelallee bis zum Bauende könnte der Mittelstreifen nur eine reduzierte Breite von 4,25 Meter aufweisen. Abbiegende Fahrzeuge würden mit dem „Hintern“ in den Verkehr hineinragen und diesen doch wieder ausbremsen.
– Bei der Füßgängerquerung etwa am Knotenpunkt Pestalozzistraße wäre kein Platz mehr für eine Mittelinsel, was die Fußgängerquerung unsicherer macht.
– Auf dem Gelände müssten Schmutzwasser- und Gasleitungen umgelegt werden, was die Kosten erhöht, die Leitungsbetreiber mit involviert und so die Bauzeit deutlich verlängert.
– Bei der nördlichen Baumreihe müsste man in den Wurzelbereich eingreifen, was Einschränkungen der Haltefunktionen nach sich ziehen würde.
– Bei den nördlichen Bushaltestellen wäre der Wartebereich zu klein für die Aufstellbreiten der Fahrgäste.
– Von der Hegelallee über die Pestalozzistraße bis zum Bauende müssten Teile der nördlichen Privatgrundstücke enteignet werden.
Kurz zusammengefasst: Eine Alternativplanung wurde vorgestellt. Aber sie ist de facto nicht realisierbar. Übersetzt: Wir können die Linden gern schützen. Aber dann enteignen wir die Nachbarn. Bürgermeister Heiko Müller: „Das wird nicht passieren. Da kommen wir niemals vor Gericht mit durch, solange es eine mögliche Alternative gibt. Und die gibt es ja.“
Günter Chodzinski gab sich nach der Präsentation enttäuscht. Er bemängelte, dass die ursprüngliche Planung nicht vorgestellt wurde, sodass deren Nachteile nicht Thema der Diskussionsrunde werden konnten. Und: „Warum denkt denn niemand über Kompromisse nach? Ich habe das Gefühl, hier wird eine Alternativplanung nur vorgestellt, um sie sofort demontieren zu können.“
Viele Anwohner aus der Nachbarschaft äußerten Bedenken – und stellten am Ende eine wichtige Frage: „Werden wir eigentlich an den Kosten beteiligt?“ Thomas Zylla, 1. Beigeordneter und Baudezernent für Falkensee: „Dem Grunde nach ja. Kosten fallen nicht für die Straße und den Fahrradweg an, wohl aber für die Gehwege, die Beleuchtung und die Zufahrten. Das ist Stadtaufgabe, der Landesbetrieb baut dies aber gleich mit. Da wird es zu gegebener Zeit ein Anwohnertreffen und später auch einen Bescheid von der Stadt geben. Über die Höhe der Kosten kann ich jetzt noch nichts sagen.“
Am Ende der von Hans-Peter Pohl als Geschäftsführer des MIT-Kreisverbands Havelland moderierten Veranstaltung stand Ernüchterung: Die Alternativplanung ist mit den genannten Nachteilen nicht realisierbar – und die Linden sind weiterhin von der Abholzung bedroht. (Text/Fotos: CS)
Dieser Artikel stammt aus „FALKENSEE.aktuell – Unser Havelland“ Ausgabe 155 (2/2019).
Der Beitrag Falkensee: Alternativplanung für Ausbau der Spandauer Straße – Linden retten? erschien zuerst auf FALKENSEE.aktuell.